Freitag, 20. September 2024

Herbstbeginn-Review-Rampe '24

Ja doch, schon wieder Platten kaufen. Dauernd neue Platten kaufen...

Dieses mal: Eine gemischte Tüte an sogar doch mal wieder krachigem Rock und auch  Drööööhn'n'Gröl, außerdem allerdings natürlich einer abendfüllenden Sammlung an sowas wie Tanzmusik und weirderen Elektroniker-EPs.

Demdike Stare X Dolo Percussion - Dolo Ds
(DDS)
"Dolo Ds" kam eigentlich schon im Mai raus, aber Demdike Stare ist traditionell ein Act, bei dem ich immer so'n bisschen verzögert hinterher bin...
Ihre 
Feuilleton-gehypten Dark-Ambient-/ Dub-Techno-/ "Witch House"-Frühwerke habe ich mir dann zwar trotz Interesse seit damals irgendwie doch nie wirklich ins Plattenregal geschoben, aber als ich ihre aus sieben 12" Singles bestehende "Test Pressings" Serie der Mittzehner für mich entdeckt hatte, die u.a. auch verstärkt mit groben Jungle-Einflüssen und 
rauen Noise-Schlagseiten spielte, wurde ich doch noch mal so ein bisschen Fan. 
Diese Veröffentlichung ist wohl ebenfalls als Teil einer neuen Serie zu sehen, in deren Rahmen weitere Kollaborationen mit Andrew Field-Pickering alias Dolo Percussion (alias Max Dumbar), welcher vor allem für Drumcomputer-Jams bekannt ist, folgen sollen.
Die drei Track von "Dolo Ds" scheinen jedenfalls eher so ein bisschen an den "Test Pressings" anzuknüpfen als an den atmosphärischeren Seiten von DS, denn die Rhythmusmaschine bollert sich gröber und weirder mit viel Bassbumms durch's Material.

The Jesus Lizard - Rack
(Ipecac)
Ein neues Jesus Liz-Album in klassischer Besetzung war wohl nicht wirklich was gewesen, das ich für 2024 auf der Rechnung gehabt hätte. Aber es ist wie es ist: Ich bin ein alternder Krachfetischist, für den die Rückkehr einer aus noch älteren Wahnsinnigen zusammengesetzten Noiserock-Legendentruppe (zweieinhalb Dekaden nach dem letzten Album!) zu den freudigsten Ereignissen des Jahres gehört. Musik aus der altehrwürdigen AmRep-/ Touch & Go-/ Trance Syndicate -Ecke ist halt einfach etwas, das bei mir wirklich immer geht und für immer gehen wird.
Und zugegeben: Stünde ein anderer Bandname auf der Platte wäre ich mir nicht sooo sicher, ob ich solch angeschrägten Rock'n'Roll und zähen Handbremsen-Rock 2024 hätte haben müssen. Aber das hier ist halt das Original. Und da, wenn wir über Originale reden, Killing Joke (RIP Geordie), Shellac (RIP Steve Albini) und Neurosis höchstwahrscheinlich Geschichte sind, meine geliebten Voïvod (RIP Piggy) und die hochgeschätzten Unsane inzwischen auch schon zu sowas wie Coverbands ihrer selbst wurden, Eisenvater sich mit ihrem neuen Album unfassbar viel Zeit lassen, es in diesem Leben wohl zu keiner Fudge Tunnel Reunion kommen wird und die Melvins einem das Fan sein auch nicht immer so ganz einfach machen, stand der Weg für The Jesus Lizard sehr, sehr weit offen, über so manchen Nachrückplatz in die Riege der besonderen Altherrenkrachmacher-Bands rauf zu springen, die im Krach-und-so-Haushalt auch dieser Tage noch besonders goutiert werden.
Was den musikalischen Inhalt angeht bietet "Rack" natürlich keine wirklichen Überraschungen, und irgendwie ist mir jetzt auch nicht so wirklich danach, mich im Detail über die elf Songs des Albums zu ergehen. 
Die Produktion ist die genau adäquate Mischung aus relativ transparent und dennoch rau und schroff genug, Frontmann David Yow windet sich irrsinnig in der Musik herum wie eh und je.
Musik, die gleichermaßen ein bisschen unbequem, und dennoch auch nostalgische Komfortzone ist. Ich find's gut!

Ord Cannon - Foreshots
(Eigenvertrieb)
Man kennt 
Malte und Michael von den mächtigen Black Shape of Nexus und deren leider nur kurzlebigem Nachfolge-Erdbeben Bellrope. In Sachen metallischen Megamassiv-Krachs sind "Negative Black" und "You Must Relax" ja wirklich zwei meiner absoluten All-Time-Lieblingsalben der letzten zwölf Jahre. Das im Kontext ungewöhnlicher rockende 'Facepunch Transport Layer' oder das coole Helhammer-Cover sollte man sich ebenfalls mal gegeben haben und es gab von B.SON ferner 'nen Release, der sich gänzlich im Drone/ Noise erging, was ich erwähne, weil mir ein Wille zu Experimenten grundsätzlich sympathischer als generisches abliefern, und die Spannweite von Tom-Warrior-Worship bis Weirdness-Soundscapes dann ja doch auch irgendwie total mein Ding ist.
Vorfreude hierauf war also angebracht und eine gewisse Erwartung gerechtfertigt. 
Und die zwanzig Minuten von "Foreshots" sind auch fiesester, abgründigster Drone-Noise-Doom mit 'nem Hauch von Industrial, der einen in dieser Konsequenz wirklich gerne mit in diese Hölle hinabsteigen lässt.
Digital ist das Teil draußen, eine Tape-Version kommt in ein paar Wochen und eine Vinyl-Veröffentlichung irgendwann schließt man nicht aus.


Rozzer - Heavy Mist
(
Offish Productions)
Das polnische Label Offish Productions war neulich irgendwann schon mal auf meinem Radar aufgeblinkt, als der Mainzer Dreadmaul an einem Release beteiligt war.
Sympathisch: Man fährt eine Komplettbedienung aus "Name your Price"-Downloads, Kleinauflagen gar nicht mal so teuer kommender Lathe-Cut-Platten, CD-Versionen und günstigen Bundles. 
Ganz neu ist eine inzwischen ausverkaufte 10" mit drei Tunes von Rozzer, die in der Digital-/ CD-Version s
echs Originale und fünf Remixe enthält. 
Der auf diesen Blogseiten nicht zum ersten mal auftauchende Matthew "Rozzer" Rozeik wiederum ist ein Tausendsassa, der einst in der instrumentalen Prog-Metal-Band Astrohenge spielte, sich mit deren Quasi-Nachfolgeduo Necro Deathmort dann von Industrial-Drone-Doom immer mehr zu Dark-Ambient und neokrautigem Experimental-Techno weiterentwickelte und jüngst auch noch mit The Cortina Protocol eine düstere Fusion-Jazz-/ Krautrock-Band an den Start brachte, nebenbei dann auch noch mal eben obendrauf als Rozzer Musik in Jungle-/ Drum'n'Bass-/ Techstep-Gefilden fabriziert. 
Dazu, warum das "Heavy Mist" Material einfach direkt wie doppelt und dreifach für mich gemacht ist, weiß ich gar nicht wo ich anfangen und aufhören soll, jedenfalls konnte ich nicht anders, als mir direkt das 10" Lathe Cut + CD Bundle zu schießen.
Und Rozzer demonstriert hier eine Kerndisziplin des durchaus weiter gefassten Genres ziemlich gut: Die Kunst, im Rahmen einer eher simplistischen und dennoch Flächen ausweitenden Soundpalette was irgendwie komplex zusammengefügtes zu machen. Genau sowas ist die Art von Drum'n'Bass, welche die eigentliche Fight-Club-Oberliga ist (im Gegensatz zum aktuellen Mainstream an "Neuro"-Hartgebratze, "Dancefloor"-Plastiksound, "Junp-Up"-Albernheiten und ähnlichem).
So enthält die 10" mit der Eröffnungsnummer "Miele" auf der A-, und dem sehr coolen "Paradigm Shift" in der Original- sowie einer Remix-Fassung von Mr. Offish himself auf der B-Seite auch über drei Tracks genau die Art von Photek-geschultem, kühl knallendem Dunkel-Drum'n'Bass, mit dem man mich halt wirklich echt immer kriegt. 
Die CD-Version kommt wie schon gesagt mit weiteren Originalen (auch sehr geil: Das wild tackernde "Covert Shizoid", die Halftime-Pumnper "On The Tracks" und "Lightrunner Dub" und der scheppernde Titeltrack!) und vier weiteren Remixen (darunter ein richtig derber zum Titeltrack von Rozzer selbst).
Geiles Dingen! Ein richtiges Vinyl- bzw. 2LP-Album oder sowas wär' vielleicht irgendwie noch geiler gewesen, aber trotzdem geiles Dingen!

Senses - Tempus Devorat Omnia
(Curvature)
Senses - Into The Underworld
(Repertoire)
Veröffentlichungen von ASC und/ oder Kollegen auf seinen vielen Haupt-/ Sub-/ Schwester-Labels hatte ich in jüngster Vergangenheit eher so ein bisschen ausgeblendet, weil da einfach wirklich sehr, sehr viel kommt (z.B. letztens auch noch eine Ambient-Kollaboration mit Sam KDC auf Auxiliary, doppeltes auf Mindgames und via Spatial eh andauernd was...) - ein aktueller Gast-Release auf Curvature ließ mich dann aber doch mal wieder aufhorchen:
Seit zwanzig Jahren mischt der in Deutschland geborene und im Vereinigten Königreich lebende Han Schöneberger alias Sandy alias Senses in der DnB-Szene mit, und diese dabei mit seinem gelegentlichen Release auch schon mal so ein bisschen auf (auch wenn er zwischen '06 und '12 mal 'ne längere Pause hatte). Seine 2004er Debüt-EP "Darker Self" z.B. war mit wildesten Drum-Arrangements etwas ungewöhnlicherer Kram statt Standard-Floor-Bedienung, Split-Partner waren folgend dann schon auch mal geschätzte Marken wie EndUser oder LXC.
Auf 
"Tempus Devorat Omnia" schwingt er vier Tracks lang ziemlich im Spatial- / Curvature-typischen Vibe mit: Spaceig-atmosphärische Drum'n'Bass-Musik, deren Breakbeat-Arbeit dabei Track-weise auch schon mal etwas fetter und wilder tönen darf, es aber nicht durchgängig muss. Cool!
"Into The Underworld" wiederum ist tatsächlich schon seine zweite Veröffentlichung auf Law's Label Repertoire, die mehr oder weniger parallel (und parallel zu wiederum außerdem einer Law EP auf Curvature...) kam, nachdem mir die letztjährige "Pharsighted EP" bei Release irgendwie durchgegangen war. Der Vibe ist ähnlich, die Bausteine hier und da allerdings auch schon mal einen kleinen Hauch old-schooliger. Auch geil!

Speed Dealer Moms - Birth Control Pill
(Evar)
Auch "Birth Control Pill" ist schon seit Frühjahr raus, landete aber irgendwie erst später in meinem virtuellen Einkaufswagen.
Speed Dealer Moms ist nicht nur die Antwort auf die Frage „warum hört man von Aaron Funk alias Venetian Snares denn heute irgendwie nicht mehr so viel?“, sondern ebenfalls auf „was treibt John Frusciante von den Chili Peppers denn 
eigentlich, wenn er nicht von seiner Hauptband zu unsäglicher Seiermucke gezwungen wird?“.
Auf dem von Frusciante mitbetriebenen Techno-/ Jungle-Label Evar Records ging nämlich ihr Kollaborationsprojekt Speed Dealer Moms in die nächste Runde.
Zwei Tracks jeweils um die neun Minuten bieten Funk's 
Breakcore-Breakbeat-Irrsinn in Kombination mit Synthies und das funktioniert in diesem etwas eigenwilligen (verhältnismäßigen) Langformkompositionen-Modus im Spannungsfeld von Synth-Postrock bis IDM mit Hardterchno-Einsprengseln auch erstaunlich gut.
Die Platte kam jetzt nicht sooo günstig, sieht mit einer adäquaten SciFi-Optik aber obendrauf ganz geil aus.
Die „FFO: Aphex Twin“-Musikpromoter-Plattitüden u.ä. sparen wir uns.

Tim Reaper & Kloke - In Full Effect
(Hyperdub)
2024 ist offensichtlich ein guter Jahrgang für Jungle-/ Drum'n'Bass-Musik, sich in ihren verschiedensten Auswüchsen noch prominenter in (physischer) Langspielalbum-Form zu präsentieren. Ob Nia Archives' ungenierte Annäherung an Mainstream-Pop, Gremlinz & Jesta's Underground-Sounds-Exkursion auf Metalheadz, Outrage's Old-School-Charme oder Torn's kybernetischer Next-Level-Style, obendrauf auch noch ein Album der 4am Kru auf Streaming-/ Download-Plattformen, das beizeiten noch in physischer Form nachgereicht werden soll - an dieser Front passiert/e einiges interessantes und Spaß machendes durchaus auch im abendfüllenden Format.
Das zwanzig Jahre existente Elektroniker-Label Hyperdub, vor allem bekannt für 1st-Wave-Dubstep wie von der semi-anonymen Gallionsfigur Burial, veröffentlichte nun sogar erstmals überhaupt was in diesem Wurzel-Stil:
Eine Zusammenarbeit von der umtriebigsten Jungle-Revival-Speerspitze Tim Reaper und dem Australier Kloke, nachdem letzterer Anfang diesen Jahres sogar auch schon einen 3x12"-Langspieler auf Reaper's Label Future Retro London rausgetan hat. Ja, wir sind hier jetzt in den wirklich hyperkreativen Umfeldern unterwegs.
Über 8 Tracks bietet die auch als CD erhältliche 2LP "In Full Effect" das ungefähr erwartete:
Man orientiert sich eher an etwas altbackenen Mittneunziger-Jungle-/ Drum'n'Bass-Stilmitteln und -Sounds und bleibt dabei meistens auch im 160-BPM-Bereich, dreht das dann wiederum aber mit der druckvollen Produktionstransparenz zusammen, die 2024 möglich ist.
Es gibt wild um sich schlagende Tunes mit leicht experimenteller Kante (das flottere, heftigere "Blood Pressure" ist wahrscheinlich mein Fave des Materials) und es gibt Tunes, die soulfullen Rave-Schlagseiten nachgehen.
Ob 
"In Full Effect" in einigen Jahren mal in Listen zu finden sein wird, die retrospektiv die signifikantesten Langspielveröffentlichungen des Jungle-Revivals und Drum'n'Bass-Wiedererstarkens dieser Tage zu dokumentieren versuchen, das wage ich mal nicht zu prognostizieren. Wenn es allerdings mal derartige Musik mit bewusstem nostalgischen Schulterblick zu ihrem Golden Age in dennoch zeitgenössischem Lifting sein darf, dann haben Tim Reaper & Kloke hier das eine, öffentlichkeitswirksam mal über 
ein anderes Label in die Welt gewuppte Teil produziert, das einem mit seinen Vibes durchaus den Herbstbeginn versüßen kann. 

V.I.V.E.K - Illusions Dub
(ZamZam 
Sounds )
Das hier geht nicht ganz ohne alberne Floskeln, also bringen wir eine: ZamZam Sounds schießen dieses Jahr echt aus allen Bongrohren. Und natürlich aus allen Soundsystem-Röhrenverstärkern. Im Frühjahr gab's geil groovenden Dubsteb von Traces, in den Sommer rein luftigen Dub-Techno von Hiss is Bliss, aus dem Sommer raus dann jetzt eine 7" vom Londoner Vivek Sharda alias V.I.V.E.K irgendwo dazwischen.
Jene bietet nämlich in zwei Versionen eine total geile 140-BPM-Nummer zwischen elektronischem Dub-Steppa und Dubstep mit vielleicht sogar 'nem Hauch von Industrial.
Megacool! Beide Seiten, aber für meinen Geschmack vor allem die "Raw Dub"-Version mit ihrem noch etwas kaputter scheppernden Snares. Wahrscheinlich eine meiner Lieblings-Singles des Jahres.
Wie immer: „No digital, no repress.“


Noch was? Honorable Mentions? Einkaufszettel-Nachrückplätze?

Dass DJ Trace & HLZ' aktuelle EP auf Metalheadz vor allem mit dem Trockenfett-Techstep-Klöppelbrumm des Titeltracks und dem dubbig durch Halftime-Regionen wabernden Digital-Bonustrack zwei ganz geile Nummern auffährt, das sollte nicht unerwähnt bleiben.
Zumindest vorerst durch's Raster fielen bei so viel Musik, die so viel Geld kostet, und so wenig Zeit das alles zu hören, weil inkl. eigener Musikaktivität so viele andere Sachen um die halbtauben Ohren, allerdings u.a. die neue Seefeel EP und aktuelle Alben von Castle, Die Nerven oder Melt-Banana
Könnte sein, dass ein oder zwei davon doch noch im virtuellen Einkaufswagen landen. Vielleicht aber auch nicht. We'll see.

Was kommt denn dann noch so dieses Jahr?

Für Krachfetischisten mit ausgeprägtem Faible für Außenseiterkünstler-Auren wird der 08.11. so 'ne Art Feiertag, denn an jenem erscheinen neue Alben der Leeds'er Dance-Noiserocker Thank und von der Industrial-Sludge-Doom-Monströsität The Body.
Beides besondere Bands!
Eine neue Keitzer kommt auch jetzt gerade und wird wahrscheinlich eingetütet, außerdem habe ich gelesen, dass 'ne neue Immortal Bird unterwegs ist. Zu "Empress​/​Abscess" -Zeiten waren jene mal eine der interessantesten Metal-/ Grind-Bands, die zu dem Zeitpunkt so am Start waren. Dass mir aktuell nicht mehr so wirklich der Sinn nach sowas steht, dafür können die natürlich nix.

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